Die Wurzeln des Dialogs

Der Dialog hat viele Wurzeln und eine lange Geschichte. Von David Bohm (1917-92), einem Quantenphysiker, der auch im Briefkontakt mit Martin Buber (1878-1965), dem in Wien geborenen jüdischen Religionsphilosophen, stand, geht ein direkter Kontakt zum Dialogprojekt am MIT in Boston, an dem William Isaacs, Peter Senge, Danah Zohar etc. beteiligt waren und an dem jetzt auch Claus Otto Scharmer (www.presencing.com, www.ottoscharmer.com) forscht. Dieses Dialogprojekt wurde von Freeman Dhority begleitet, der als emeritierter Professor für Germanistik und Komparatistik den Dialog in den deutschsprachigen Raum brachte und hier insbesondere auch mit Martina und Johannes Hartkemeyer (www.dialogprojekt.de) zusammenarbeitete und viele Dialogbegleiter und Dialogbegleiterinnen ausbildete. Freeman Dhority war mit Steffi Dobkowitz auch lange Zeit Dialogbegleiter im Dialogprojekt Arbogast/Vorarlberg. Über Freeman Dhority geht auch eine Verbindung zu Christoph und Johanna Mandl, die – nach einem Seminar Mitte der 90er Jahre in Bolder, Colorado – gemeinsam mit Markus Hauser den Dialog in Österreich zu verbreiten begannen. Ihrer Beratergruppe www.metalogikon.com gehört auch Kuno Sohm an, der in der Projektgruppe des Dialogprojekts Arbogast mitarbeitete. Im Dialogprojekt Arbogast ging es also von Anfang an darum, Lernen und Forschen mit gesellschaftsrelevanten Themenstellungen zu verbinden. Dies geschieht in folgenden Arbeitsfeldern: Dialogseminare, Forschungsgruppen Dialog, Dialogforen und Dialogkonferenzen.

Was ist Dialog?

Für das Gelingen eines Dialogs sind bestimmte Haltungen und Kernfähigkeiten notwendig, wie etwa wirklich zuhören, respektieren, von Herzen sprechen, erkunden, offen sein für das Unerwartete. Der Dialog lebt auch wesentlich vom Vertrauen der Teilnehmenden, dass der Prozess getragen ist vom GEIST, der in jedem Menschen präsent ist und sich zeigen will.

Vom Wortsinn her bedeutet Dia-Logos etwa: der Logos, d.h. das Verstehen der Wortbedeutungen fließt durch das Denken und Sprechen der Einzelnen und durch das Gespräch hindurch (dia=durch, hindurch). Dialog ist ein Praxisfeld und ein Entwicklungsprozess für generatives, kreatives Denken und bewusste Kommunikation.

Der Dialog unterscheidet sich wesentlich von der Diskussion. Er stellt einen Versuch dar, das Potenzial der jeweiligen Gruppe in den Raum zu holen, von Herzen zu sprechen, zuzuhören, feste Meinungen zu suspendieren und den Redebeiträgen der anderen mit radikalem Respekt zu begegnen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sitzen im Kreis, arbeiten meist mit einem Redesymbol und das Gespräch entwickelt sich aus der Mitte heraus. Fragen werden an die ganze Gruppe gestellt, die Stille und die Verlangsamung des Gesprächs ist ein wesentliches Element. Durch die Verlangsamung können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch besser wahrnehmen, welche Gedanken sich in ihrem Inneren entwickeln. David Bohm sprach davon, dass er mit dem Dialog dem menschlichen Denken auf die Schliche kommen möchte. Zum Unterschied dazu geht es bei der Diskussion stärker darum, sich mit seiner Meinung durchzusetzen.

In seinen Grundformen kann der Dialog als generativer Dialog – das Thema ist nicht vorgegeben und entwickelt sich aus der Kreismitte – oder als strategischer Dialog mit einem vorgeschlagenen Thema oder einer Frage stattfinden.

Dialog ist ein Raum...

  • in dem wir lernen, wie wir hören und wie wir das, was wir hören, durch unsere individuellen und einzigartigen (verzerrenden) Filter verarbeiten.

  • in dem wir lernen, unsere Gewissheiten zu suspendieren und uns bewusst machen, wie jeder und jede von uns den Daten und Eindrücken, die uns umgeben, Bedeutungen zuweist.

  • in dem wir lernen, nicht nur unsere Meinungen und Ideen zu zeigen, sondern auch die Gedanken und Gefühle, aus denen unsere Meinungen und Ideen entstanden sind.

  • in dem wir lernen, mit wachsender, echter Neugier unsere eigenen Gedanken und Annahmen zu erkunden, ebenso wie die Gedanken, Annahmen und Ideen von anderen. Das ermöglicht uns und anderen weitere und tiefere kommunikative Entdeckungen.

  • in dem es erlaubt ist, nicht zu „wissen“, um unschuldige Fragen zu stellen, die aus dem Bewusstsein, lernen zu wollen, entstehen und nicht aus dem Bewusstsein, „recht haben“ zu wollen.

  • in dem wir lernen, die Spannung auszuhalten, die von Polaritäten und Paradoxien geschaffen wird, und dadurch einen sicheren Raum für Verschiedenheit zu halten.

  • in dem wir lernen, zu verlangsamen und den Prozess der Kommunikation zu öffnen und Raum zu schaffen, in dem wir wirklich zuhören können.

  • in dem wir uns selbst erlauben, von der Kommunikation mit anderen berührt zu werden, ohne dass wir ablehnen und ausblenden müssen, was da ist, nur um unsere eigene Position abzusichern und zu verteidigen.

  • in dem wir lernen, Plädieren und Erkunden auszubalancieren.

  • in dem wir lernen, kollektiv zu denken und schöpferisch zu werden, indem wir entdecken, dass wir gemeinsam zu neuen Erkenntnissen kommen.

Haltungen bzw. Kernfähigkeiten

Die Haltung eines bzw. einer Lernenden verkörpern

Diese Fähigkeit ermöglicht es uns, wieder neugierig zu sein und unsere kulturelle Konditionierung, als Wissende aufzutreten, abzulegen. Der Zen-Meister Shunryu Suzuki hat es folgendermaßen formuliert:

„Im Anfängergeist gibt es viele Möglichkeiten. Im Geist des Experten gibt es wenige.“

Radikaler Respekt

Respekt heißt für uns, die andere Person in ihrem Wesen als legitim anzuerkennen. Respekt ist aktiver als Toleranz: Ich bemühe mich darum, die Welt aus der Perspektive des bzw. der anderen zu betrachten.

Offenheit

Dies bedeutet, die Bereitschaft mitzubringen, offen zu sein für neue Ideen, für andere Perspektiven, offen dafür, lang gehegte Annahmen in Frage zu stellen.

Sprich von Herzen

Damit ist gemeint, dass ich von dem spreche, was mir wirklich wichtig ist, mich wesentlich angeht. Ich rede nicht, um rhetorisch zu brillieren, zu theoretisieren, einen Vortrag zu halten. Ich fasse mich kurz.

Zuhören

Hier geht es um qualitatives Zuhören: Das heißt, ich lausche dem bzw. der anderen so vorbehaltslos wie möglich sowie mit empathischer Zugewandtheit, welche den Sprechenden bzw. die Sprechende einlädt, seine bzw. ihre eigene Welt vertrauensvoll sichtbar zu machen.

Verlangsamung

Im Dialog wollen wir unseren automatischen gedanklichen und emotionalen Mustern auf die Schliche kommen. Ohne Verlangsamungsprozess sind wir dazu kaum in der Lage.

Annahmen und Bewertungen „suspendieren“

Unsere individuell unterschiedlichen Glaubenssätze, Interpretationen und Annahmen liefern den Zündstoff für endlose Missverständnisse und Konflikte. Im Dialog üben wir, unsere Annahmen und Bewertungen offenzulegen und in der Schwebe zu halten.

Produktives Plädieren

Dies ist eine Einladung dazu, die Wurzeln meiner Gedanken und Gefühle auszusprechen. Ich benenne also nicht nur das „Endprodukt“ (ein Statement), sondern auch die Annahmen, Bewertungen, Vorurteile sowie Beobachtungen, die mich dazu geführt haben.

Eine erkundende Haltung üben

Ich gebe meine Rolle als Wissende bzw. Wissender auf und entwickle echtes Interesse an dem, was anders ist, als ich es bereits kenne. Damit ist eine Haltung von Neugier, Achtsamkeit und Bescheidenheit gemeint:


Den Beobachter bzw. die Beobachterin beobachten

Dies bedeutet, dass ich mich im Dialogprozess selbst beobachte und mich darum bemühe, mir meiner eigenen Denk-, Gefühls- und Reaktionsmuster bewusst zu werden.

Instrumente des Dialogs

  • Kreis: Der Kreis steht symbolhaft für die Hierarchiefreiheit.

  • Redegegenstand: Der Redestab bzw. Redestein macht sichtbar, wer jeweils gerade am Wort ist. Er führt zu einer Verlangsamung des Redeflusses und dazu, dass einzelne Wortmeldungen sprichwörtlich mehr Gewicht bekommen. Seine Verwendung hilft mit, dass Gesprächsanteile gleichmäßiger verteilt werden und dadurch das Gesamtpotenzial einer Organisation besser abrufbar wird.

  • Anfang/Ende: Jeder Dialog hat einen klar bezeichneten Anfang und ein klar bezeichnetes Ende.

  • Dialogcontainer/ Dialogbegleiter bzw. Dialogbegleiterin: Der Rahmen des Dialogs dient der gemeinsamen Identitätsbildung. Die Werte und Ideen werden in einem ständigen Prozess entwickelt; es handelt sich um eine sogenannte lernende Organisation. Wesentlich ist der Aufbau eines sogenannten Dialogcontainers, in dem Menschen vertrauensvoll miteinander kommunizieren können. Dialogbegleiterinnen und Dialogbegleiter haben die Aufgabe, den Dialog entsprechend einzuführen und speziell auf das gemeinsame Halten des Containers zu achten.