Die Kunst, gute Fragen zu stellen

„Wenn ich nur eine Stunde Zeit hätte, um ein Problem zu lösen, und mein Leben davon abhängen würde, dann würde ich die ersten 55 Minuten dafür verwenden, die Frage richtig zu formulieren. Denn sobald ich die wesentliche Frage identifiziert habe, kann ich das Problem in weniger als fünf Minuten lösen.“
Albert Einstein

Jeder partizipative Prozess, jedes wesentliche Gespräch beginnt mit einer guten, kraftvollen Frage. Es lohnt sich, die Fragen, die gemeinsame Denkprozesse in Gang setzen sollen, sorgfältig zu formulieren, denn offene, „gute“ Fragen führen zu gedankenreichen Antworten, die das Tor zu weiteren Erkundungen öffnen und positive Veränderungen möglich machen. Diese Fragen richten sich am Sinn und Zweck des gemeinsamen Prozesses aus und involvieren die Menschen: sie ziehen die Leute in die gemeinsame Intention (purpose) hinein und wecken den Suchprozess.

Eine Frage kann wie ein Hebel wirken – mit einer positiven, kraftvollen, dynamischen Frage haben wir einen starken Hebel und können wirklich etwas in Bewegung bringen.

Gute Fragen zielen nicht unmittelbar darauf ab, sofort Maßnahmen zu entwickeln oder die Lösung für ein Problem zu finden. Während Antworten eine Suche abschließen, wirken Fragen öffnend. Sie laden vielmehr zum Ergründen und Entdecken ein und führen nicht dazu, dass die Teilnehmer:innen ihre persönlichen Standpunkte verfechten oder versuchen, Vorteile für sich herauszuschlagen. Gute Fragen erkennen wir daran, dass sie immer wieder neue Ideen, Betrachtungsweisen und Möglichkeiten hervorbringen.

Fragen lenken Denken, Wahrnehmung und Bemühen in eine bestimmte Richtung. Kreativität bedarf „echter Fragen“, auf die es noch keine Antwort gibt.

Fragen können Konflikte verdeutlichen, aber auch das gegenseitige Verständnis vertiefen.

Kraftvolle Fragen…

  • … sind einfach und klar formuliert

  • … sind offene Fragen, die nicht nur eine simple Ja/Nein-Antwort zulassen

  • … setzen Energie frei

  • … stimulieren Kreativität und bringen frisches Denken hervor

  • … regen zum Nachdenken an

  • … fokussieren die Erkundung

  • … sind Fragen, die unser inneres Wissen aktivieren

  • … fokussieren Absicht, Aufmerksamkeit und Energie

  • … öffnen Türen zur Veränderung und neuen Möglichkeiten

  • … führen in die Zukunft

  • … bringen unterschwellige Annahmen und Unterstellungen an die Oberfläche

  • … machen dahinterstehende Vorannahmen deutlich

Wenn wir Menschen zu einem Gespräch einladen, das sich um wesentliche Dinge drehen soll, dann ist es sehr hilfreich, eine Kernfrage zu haben, also eine Frage, die den Sinn und Zweck des Gesprächs reflektiert. Um diese Frage dreht sich dann letztlich das gesamte Gespräch. Am besten formulieren wir eine solche Kernfrage gemeinsam mit jenen Personen, die das Treffen initiiert haben (Stakeholder, Caller).

Das Gespräch selbst kann dann natürlich noch andere Fragen abdecken als die Kernfrage selbst. Diese im Vorfeld ausgewählten Fragen – oder auch jene, die im Lauf des Gesprächs auftauchen bzw. entdeckt werden – sind kritisch für den Erfolg!

„Menschliche Systeme bewegen sich in Richtung dessen, worüber sie beharrlich Fragen stellen“ (David Cooperrider / Diana Whitney)

Die richtigen Fragen stellen

Der wirkungsvollste Weg, um ein Gespräch zu beginnen und es spannend zu gestalten, besteht darin, gute Fragen zu stellen. Eine gute Frage fokussiert auf etwas, das für alle Beteiligten eines Gesprächs wichtig ist. Sie weckt unsere Neugier und lädt uns dazu ein, ein Thema noch genauer zu erforschen.

Eine kraftvolle Frage fokussiert unsere Aufmerksamkeit, unsere Intention und unsere Energie.

Drei Dimensionen von guten Fragen

1. Ausmaß und Größenordnung der Frage
Ist das Ausmaß bzw. die Größenordnung der Frage zu groß, wird sich kein gutes Gespräch entwickeln (z.B. Wie schaffen wir Weltfrieden?), da man sich von der Frage erschlagen fühlt. Anders formuliert könnte die Frage aber lauten „Wie können wir für uns/unsere Familien/unsere Teams/unser Zusammenarbeiten etc. schöne, friedvolle Momente schaffen?“ – Es ist also wichtig, die Größenordnung der Frage so zu wählen, dass sie möglichst inspirierend wirkt.

2. Intention hinter der Frage
Eine Frage zielt in der Regel auf etwas ab – kann also eine Intention beinhalten. Das Bewusstsein für diese Intention und Absicht ist wichtig für den Sinn und Zweck des Treffens.

3. Formulierung der Frage
Bei der Formulierung der Frage gibt es ein Kontinuum von weniger starken Fragen bis hin zu starken Fragen. Weniger anregende Fragen sind jene, die mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Entlang des Kontinuums beginnen gute Fragen mit „Wann?“ oder „Wer?“. Die nächste Stufe sind dann Fragen, die mit „Wie?“ oder „Was?“ beginnen und noch stärkere Fragen beginnen mit „Warum?“. Bei „Warum-Fragen“ verschanzen sich Menschen aber gerne hinter ihrer eigenen Sicht der Dinge, was zu einer gewissen Defensivität führen kann. Darum ist darauf zu achten, dass „Warum-Fragen“ so gestellt werden, dass sie eher neugierig machen.

Um der Frage einen Bezug zur aktuellen Situation zu geben, bringen wir das Wort „jetzt“ in die Frage ein. Zum Beispiel „Was bemerken wir jetzt?“ oder „Worauf richtet sich deine Aufmerksamkeit jetzt?“ Die Frage sollte sich auf den Sinn und Zweck des Treffens richten. Die Frage sollte so gestellt werden, dass sie sich auf Sinn und Zweck des Treffens bezieht – sie sollte einen Kontext herstellen. Die Frage selbst erledigt also schon einen Teil der Arbeit.

Formulierung und Sprache
Oft ist es auch anregender, eine prozessorientierte Sprache zu verwenden. Konkret heißt das, anstatt zu fragen „Was hast du von dieser Erfahrung gelernt?“ zu fragen „Was kannst du weiterhin aus dieser Erfahrung lernen?“. Auch kleine Nuancen in der Fragestellung können eine große Wirkung haben. Es kann auch gezielt in eine Richtung gelenkt werden wie z.B. „Was wird sich deiner Vorstellung nach verändern, wenn du diesen Raum verlässt und das Gelernte anwendest?“ Mit dieser Frage nimmt man an, dass es eine Veränderung geben sollte und man das Gelernte auch in der Praxis anwenden möchte.

Weitere Beispiele für unterschiedliche Fragestellungen:

  • Was nimmst du in deinem Arbeitsumfeld gerade wahr?

  • Was nimmst du in deinem Arbeitsumfeld bezogen auf das Projekt gerade wahr?

  • Wie ist es dir seit dem letzten Treffen gegangen?

  • Wie hat das letzte Treffen dich und deine Arbeit beeinflusst?

Es ist sinnvoll, die Fragen mit Freund:innen und Kolleg:innen zu testen: Sind sie spannend/kraftvoll genug? Erzeugen sie nachhaltig Interesse? Macht ihre Beantwortung einen Unterschied für die realen Bedürfnisse und Anliegen der Teilnehmer:innen?